Gabrielle Schubert: In Memoriam Emilia Staitscheva
Публикувано на Januar 5, 2021 |
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In memoriam Emilia Staitschewa (1936 - 2020)
Eine langjährige Freundin und international bekannte bulgarische Kollegin, Prof. Dr. Dr. sc. Emilia Staitschewa, ist von uns gegangen. Als bulgarische Germanistin hat sie sich in hohem Maße um die Erforschung der deutschen Literatur wie auch der deutsch-bulgarischen Literatur- und Kulturbeziehungen verdient gemacht.
Geboren und aufgewachsen ist Emilia Staitschewa in Sofia, in einer Familie mit deutsch-bulgarischen Wurzeln. Ihr Großvater, Petăr Josifov, war der erste bulgarische Absolvent der Technischen Hochschule Braunschweig. Hier lernte er die Cousine von Ricarda Huch, die Kunstmalerin Anna Höhn kennen und heiratete sie. Anna Höhn-Josifov wurde 1903 Mitbegründerin der Künstlergruppe Săvremenno izkustvo (Zeitgenössische Kunst) in Sofia und erhielt dafür 1927 vom bulgarischen Zaren den Orden für Verdienste um die bulgarische Nation.
Diese Herkunft bestimmte den Lebensweg und den wissenschaftlichen Werdegang von Emilia Staitschewa wie auch die damit verbundenen Hindernisse, die ihr im sozialistischen Bulgarien von offizieller Seite in den Weg gelegt wurden. Dennoch konnte sie in Sofia ihr Studium der Germanistik absolvieren und 1964 eine Stelle als Universitätsassistentin antreten. Ihre Aufgabe in dieser Zeit war es, bulgarischen Germanistikstudenten Kenntnisse der Literatur der deutschen Klassik zu vermitteln. Doch bald zog es sie studienhalber nach Deutschland: 1977 promovierte sie an der Universität Jena mit einer Arbeit über das Menschenbild in der frühen Prosa Ricarda Huchs. In der Folgezeit erweiterte sie ihre Forschungsinteressen in Richtung Komparatistik; 1987 habilitierte sie sich zu dem Thema der Heinrich Heine-Rezeption in Bulgarien. Darauf folgend erwarb sie mit einer Untersuchung zu dem Thema Teodor Trajanov und die deutschsprachige Lyrik den wissenschaftlichen Grad doctor scientiarum sowie den Titel einer Universitätsprofessorin.
Am Lehrstuhl für Germanistik und Skandinavistik der Fakultät für klassische und neue Philologien der St. Kliment Ohridski-Universität in Sofia war sie als Hochschullehrerin tätig: hielt Vorlesungen über die Geschichte der deutschen Literatur von der Aufklärung bis zur Romantik und unterrichtete ihre StudentInnen in Magisterstudiengängen zu dem Thema der deutsch-bulgarischen Literaturbeziehungen und anderen einschlägigen Themen wie Die Übersetzung als Kulturtransfer.
Von 1991 bis 1994 war sie Prodekanin der Fakultät für klassische und neuere Philologien der St. Kliment Ohridski-Universität, von 1993 bis 1999 Leiterin des Lehrstuhls für deutsche Philologie. Auch nach ihrer Emeritierung hielt sie noch Vorlesungen an diesem Lehrstuhl wie auch an anderen bulgarischen Universitäten und motivierte manche ihrer StudentInnen, zu Themen der deutsch-bulgarischen literarischen Beziehungen zu promovieren.
In ihrer umfangreichen Forschungstätigkeit widmete sich Emilia Staitschewa vor allem der Geschichte der deutschen Literatur, den deutsch-bulgarischen und österreichisch-bulgarischen Literaturbeziehungen. Ihre breit gespannte Forschungstätigkeit umfasst neben umfangreicheren Untersuchungen zu den Werken von Ricarda Huch, Teodor Trajanov, Blaga Dimitrova und Elias Canetti die Rezeption deutscher Literatur in Bulgarien: der Werke von Goethe, Schiller, Heine, Kafka,Rilke, Lessing, Stefan George, Dürrenmatt und Lenau. Umgekehrt untersuchte sie bulgarische Themen und Motive in der deutschen Literatur, so im deutschen Drama des 17. Jahrhunderts. Zu ihrem wissenschaftlichen Oeuvre gehört u. a. auch eine Betrachtung zum Europa-Diskurs in Bulgarien (exemplifiziert an literarischen Texten).
Forschungsaufenthalte und Vortragstätigkeiten führten Emilia Staitschwa an viele deutsche, europäische und amerikanische Universitäten, und überall war sie ein ganz besonders gern gesehener und hochgeschätzter Gast. Sie hielt Vorlesungen an den Universitäten in Göttingen, Saarbrücken und Wien, und im Studienjahr 1991/1992 war sie als Gastprofessorin an der Universität Salzburg tätig.
Auch außerhalb der Universität bekleidete Emilia Staitschewa zahlreiche Ämter und Ehrenämter: u.a. beim bulgarischen Ministerrat, am Institut für Literatur der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften, beim bulgarischen Übersetzerverband, beim Bulgarischen Germanistenverband, bei der Goethe-Gesellschaft, der Internationalen Elias Canetti-Gesellschaft und beim Rat der Internationalen Stiftung Hl. hl. Kyrill und Methodius. Außerhalb Bulgariens war sie Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Potsdam und der Leibniz-Sozietät. Sie war darüber hinaus Korrespondierendes Mitglied der Südosteuropa-Gesellschaft.
Im Rahmen der Österreich-Bibliothek der Universität Sofia, deren Gründerin und Leiterin sie bis 2019 war, organisierte und moderierte sie Lesungen, Buchpräsentationen und vieles andere mehr. Hinzu kamen zahlreiche zeitraubende und aufreibende, den deutsch-bulgarischen Beziehungen gewidmete Tätigkeiten, die Emilia ohne jeden Eigennutz und unspektakulär wahrnahm. Hierzu zählen neben unzähligen Gutachten Herausgeberschaften von Sammelbänden zu den deutsch-bulgarischen Kulturbeziehungen und umfangreiche Übersetzungstätigkeiten; Emilia übersetzte u.a. Kleist, Lessing, Dürrenmatt und Rilke.
1997 wurde Emilia Staitschewa das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse verliehen, 2007 das Ehrenabzeichen der Universität Sofia am blauen Bande, und 2009 wurde sie vom bulgarischen Ministerium für Kultur für ihre Verdienste um die kulturelle Entwicklung Bulgariens ausgezeichnet. Sie war Ehrenvorsitzende des Bulgarischen Germanistenverbandes, eine Zeit lang Vorsitzende des Bulgarischen Übersetzerverbandes und Ehrenmitglied der Deutsch-bulgarischen Gesellschaft zur Förderung der Beziehungen zwischen Deutschland und Bulgarien. Nicht zuletzt organisierte und betreute sie 2012 die Studienwoche des Jenaer Graduiertenkollegs in Sofia.
Emilia Staitschewa war eine außergewöhnliche Gelehrte, ein außergewöhnlicher Mensch und eine außergewöhnliche Kollegin, deren Engagement, Hilfsbereitschaft und Wirken weit über ihre universitären Verpflichtungen und weit über ihr Heimatland hinausgingen. Die warmherzige Emilia wird uns sehr fehlen, doch werden wir ihr ein ehrendes Andenken bewahren.
Prof. Dr. Gabrielle Schubert, Friedrich-Schiller-Universität, Jena.